"Gedicht-Schatztruhe"

Gedichte - alphabetisch nach Stichworten sortiert

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Literarische Ernte
vom Lago Maggiore und Umgebung 2002

Auf dem Julierpass

Führt uns der Weg zu stillen Höhen,
auf denen rauhe Winde wehen,
geht uns klar auf in solchen Sphären:
Hier oben kann sich nur bewähren,
was in sich ruht, weil es sich fand.
Nur solches Leben hat Bestand.

*

Zwei Zungen leben - unbewusst
oft für uns - in der Brust :
die eine, die "nur Gutes" spricht.
Sie erntet meistens   m e h r   Gewicht.

Die andere spricht aus - befreit -,
was auf den ersten Blick entzweit,
was jedoch letztlich Ausdruck ist
für manchen innerlichen Zwist.

Gerät das Wort dabei auch scharf
–es richtet sich nach dem Bedarf
und sucht in aller Offenheit
den Weg zu tiefer Ehrlichkeit.

Wird diese Zunge oft verkannt
und in Entrüstung schnell verbannt
–sie könnte letztlich Weisung sein
und von der Selbst- täuschung befrei'n.

Nur wer sich solchen Zungen stellt,
begegnet souverän der Welt.

Vor der Fischerinsel

Gleich der Insel in dem See
gilt es in sich selbst zu ruh'n,
ausgeglichen auch im Weh,
gegen Brandung fest, immun.

Was an Missklang uns beschleicht,
mag verhallen in den Wind.
Harmonie hat dann erreicht,
dass wir   ihre   Festung sind.

Unser Blick auf Wellengang
wird trotz dessen Dauer seh'n :
Keine Welle hält sich lang,
muss schon bald im See vergeh'n.

Wer als Insel standfest bleibt,
wird dem Andern Zeichen sein,
das zum Insel-Dasein treibt.
Mut erwächst dann von allein.

*

Wenn viele Stimmen in uns streiten,
ergreift   die   Stimme in uns Macht,
die weiß, woran wir letztlich leiden,
was Feuer in   uns wild entfacht.

Dann fehlt uns Macht , noch einzudämmen,
was in uns Oberhand gewinnt,
die Kraft auch zum Entgegenstemmen.
Wir spüren, dass wir Rätsel sind.

*

Glatt ruht oft der See.
Jedoch - wer sieht je
Strudel, die in Tiefen toben,
niemals an das Licht gehoben ?

Ruhe ist und Fried',
solang' niemand sieht,
welche Mächte innen fechten,
gegenseitig richten, rechten.

Fern von allem Auf und Nieder
spiegelt sich der Himmel wider
–dies wie eh und je.
Glatt ruht oft der See.

*

Fest umhüllt vom Erdenkleid,
brodelt Lava lange Zeit,
bis sich eine Öffnung findet,
durch die sie sich schließlich windet.

Wenn sie sich dann heiß ergießt
und in alle Richtung fließt,
wird sie vieles mitverbrennen,
was wir "lebenswichtig" nennen.

Einst   –erkaltet und erstarrt –
bleibt Verkrustung, die dann hart,
was erstorben, fest umkleidet
und vom Weiterleben scheidet.

Was uns innerlich bewegt,
bahnt sich, wenn es uns erregt,
erruptiv verheerend Bahnen,
deren Ende wir nicht ahnen.

Wer den Strom entweichen ließ,
glüht selbst weiter überdies
und kommt letztlich erst zur Ruh',
deckt ihn eig'ne Lava zu.